Qualitative vs. quantitative Fragebogenstudien

Empirische Methode ist nicht gleich empirische Methode. Das gilt auch für Fragebogenstudien. Wie in anderen Methoden, z.B. der Korpuslinguistik oder auch Experimenten, unterscheidet man qualitative Ansätze und quantitative Ansätze. Diese Unterscheidung ist wichtig, denn je nachdem, welchen Ansatz man verfolgt, ergibt sich eine andere Gestaltung eines Fragebogens - zu der wir dann im nächsten Abschnitt kommen.

Wegweiser One Way

Qualitative Fragebogenstudien

Drei Frauen sitzen im BewerbungsgesprächEin Beispiel für eine qualitative Fragebogenstudie ist ein offenes Interview (auch: offene oder explorative Befragung). Dort bekommen die Befragten i.d.R. keine besonderen Vorgaben, nach denen sie antworten müssen, sie können gewissermaßen ‘frei von der Leber weg’ auf die Fragen der Interviewerin antworten. Ein offenes Interview ist also wenig standardisiert: Es gibt keine vorgegebenen Antwortkategorien und die Befragten können ihre Antworten und Gedanken frei formulieren.

Ein typisches Anwendungsgebiet für ein offenes Interview ist der Gebrauch von Dialekten. So könnten Sie etwa folgende Fragen stellen:

  • Welche Dialekte sprechen Sie in Ihrem Alltag?
  • Gibt es besondere Dialekte, die Sie innerhalb Ihrer Familie, aber nicht in Ihrem sonstigen Alltag (z.B. im Beruf) sprechen?
  • Wann würden Sie eher Dialekt sprechen und wann nicht?
  • Welche Dialekte des Deutschen empfinden Sie als ‘schön’, welche als eher ‘unschön’?

Scrabble-Steine: PlanDass ein offenes Interview wenig standardisiert ist, bedeutet nicht, dass es völlig unstrukturiert ablaufen muss. So kann man qualitative Fragebogenstudien in wenig strukturierte und teilstrukturierte Interviews unterteilen (Hippler & Schwarz 1996). Wenig strukturierte Interviews geben nicht nur den Befragten, sondern auch der Interviewerin keine festen Vorgaben, insbesondere was die Reihenfolge der zu stellenden Fragen angeht. Auch ist es möglich, die Fragen spontan zu formulieren und nicht feste Formulierungen abzulesen. Bei teilstrukturierten Interviews ist das natürlich anders. Hier greift man in der Regel auf vorformulierte Fragen zurück, die in einer zuvor durchdachten Reihenfolge gestellt werden, wobei diese Reihenfolge nicht starr eingehalten werden muss, sondern auch spontan variiert werden kann.

Wenn man sich für ein offenes Interview entscheidet, kann es aber durchaus nicht schaden, einer mehr oder weniger festen Reihenfolge der Fragen zu folgen. Es ist durchaus sinnvoll, den Befragten zu Beginn des Interviews zunächst eine ‘Aufwärmphase’ anzubieten, um sich in der oftmals ungewohnten Interviewsituation zu akklimatisieren. Das kann ein kurzer ‘Small Talk’ sein, aber auch einige unverbindliche Fragen, die langsam auf das eigentliche Thema des Interviews hinführen.

  • Haben Sie gut zu uns gefunden?
  • Nehmen Sie das erste Mal an einer linguistischen Befragung teil??
  • Wissen Sie, was ein Dialekt ist?

Sich streckende KatzeWichtig ist in jedem Fall, dass Sie die wesentlichen Fragen, auf die Sie sich Antworten erhoffen, nicht direkt zu Beginn stellen. Auch wenn Sie in einem Interview mehrere Themen bearbeiten möchten, empfiehlt es sich, zu Beginn eines neuen Themas nicht direkt ‘mit der Tür ins Haus zu fallen’, sondern mit einigen unverbindlichen Fragen den Befragten eine Art ‘Pufferzone’ anzubieten, damit sie ihr Wissen über das neue Thema aktivieren können.

Sie können sich sicher vorstellen, dass offene Interviews nicht gerade leicht auszuwerten sind. Die Antwortkategorien, die die Befragten spontan entwickeln, können sich von Person zu Person sehr stark unterscheiden. Dies erschwert einen gezielten Vergleich zwischen den Befragten. Deshalb ist es in vielen Fällen sinnvoll, auf eine stärker standardisierte Form von Fragebogenstudien zurückzugreifen. Damit sind wir bei einem quantitativen Ansatz angekommen.

Quantitative Fragebogenstudien

Quantitative Fragebogenstudien sind stark strukturiert. Das müssen sie auch sein, denn wenn man eine große Menge von Befragten erreichen und die erzielten Ergebnisse sinnvoll vergleichen und vielleicht sogar statistisch auswerten möchte, braucht man ein einheitliches Vorgehen bei der Befragung.

Nahaufnahme bunter Dachziegel

Fragebogen mit einer BewertungsskalaBei quantitativen Fragebogenstudien ist der Fragebogen so aufgebaut, dass sowohl die Fragen als auch die Antwortmöglichkeiten feststehen. Eigene Gedanken der Befragten, die darüber hinausreichen, können und sollen also nicht erfasst werden. Es ist ebenso nicht vorgesehen, dass es eine über diese Vorgaben des Fragebogens hinausreichende Interaktion zwischen den Befragten und der interviewenden Person gibt. Das hat einen einfachen Grund: Es besteht nämlich die Gefahr, dass die Interviewerin das Antwortverhalten der Befragten unbewusst steuert.

FahrradlenkerStellen Sie sich vor, Sie führen eine Befragung zu gendergerechter Sprache durch, einem vor allem außerhalb der Sprachwissenschaft sehr kontrovers diskutierten Thema. Wenn Sie sich, bevor Sie der befragten Person den Fragebogen aushändigen, mit ihr über dieses Thema unterhalten, vielleicht sogar Ihre persönliche Meinung zu gendergerechter Sprache kundtun oder Argumente, die für und gegen sie vorgebracht werden, diskutieren, werden die Antworten der befragten Person möglicherweise dadurch beeinflusst.

Eine unbewusste Steuerung des Antwortverhaltens kann jedoch nicht nur durch die Interaktion zwischen den Befragten und der Interviewerin stattfinden, sondern auch durch den Fragebogen selbst. Die Fragen müssen also so gestaltet sein, dass sie die Befragen nicht unbewusst manipulieren und ihr Antwortverhalten in eine bestimmte Richtung lenken. Das fängt schon bei der Formulierung der Fragen an. Sie können sich sicher vorstellen, dass die Frage, ob die Befragten gendergerechte Sprache als einen ‘ideologischen Eingriff in die Sprache’ betrachten, anders beantwortet wird, wenn Sie Formulierungen wie Gendersprech verwenden, als wenn sie von geschlechtsneutraler Sprache sprechen. (Und vielleicht sollten Sie auch das Wort Ideologie bzw. ideologisch vermeiden…)

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